Ist grüner Tee eine Wunderwaffe? Krebs, Alzheimer, hoher Blutzucker oder Entzündungen: EGCG, der Wirkstoff in Grüntee, gilt als Zaubermittel gegen viele Leiden. Noch ist der positive Nutzen nicht bewiesen – doch erste Ergebnisse sind vielversprechend.
GunPowder, Temple of Heaven, Morgentau, Gyokuro – für viele Grünteefans ein Muss. Die Sorten sorgen nicht nur für einen Hauch belebender Exotik in der Teetasse. Grüner Tee, so das jahrtausendealte Image des traditionellen Getränks, kann allerlei Leiden heilen. Alzheimer, Multiple Sklerose, Darm- und Prostatakrebs oder Diabetes sind nur einige der Krankheiten, bei denen Grüntee hilfreich sein soll – sogar beim Abnehmen soll der Sud helfen.
Doch kaum eines der Heilsversprechen ist durch wissenschaftliche Daten klinischer Studien bisher hinreichend belegt. Immerhin: Grüner Tee ist bei Medizinern ein beliebtes Forschungsobjekt.
Ein aktuelles Mäuse-Experiment etwa lässt aufhorchen, denn das Ergebnis von US-Forschern legt nahe: Weniger als zwei Tassen grüner Tee – zum Essen getrunken – könnten genügen, um den Blutzuckeranstieg nach einer stärkehaltigen Mahlzeit (also reich an Nudeln, Kartoffeln oder Getreide) zu halbieren. Zuständig für diese Wirkung ist eine Substanz namens Epigallocatechingallat, kurz EGCG, welche die Stärkespaltung hemmt. Auf diese Weise erhöht sich der Blutzucker nach dem Essen langsamer. Insbesondere für die Gefäßgesundheit wäre der Effekt von Vorteil.
Für viele Forscher ist EGCG geradezu ein Zauberstoff, auf dem viele positive Wirkungen dieser Art beruhen. Auch Werner Hunstein, einst überzeugter Schulmediziner und Gegner alternativer Medizin sowie Facharzt für Blutkrankheiten, ließ sich von der Wirkung von EGCG überzeugen: Seit 2001 litt der damals 72-Jährige an einer seltenen leukämieähnlichen Blutkrankheit, einer speziellen Form der sogenannten Amyloidose. Bei dieser Erkrankung bilden sich zwischen den Zellen unlösliche Eiweißklumpen in Form kleiner Fasern, Amyloidfibrillen genannt. Diese lagern sich in wichtigen Organen ab, wodurch deren Funktion zunehmend gestört wird.
Zwei Liter Grüntee täglich
Bei Hunstein waren Herz und Nieren besonders stark betroffen. 2005 hatte er den Tod vor Augen. Die bei dieser Krankheit übliche Chemotherapie war für ihn die Hölle, und der erhoffte therapeutische Durchbruch blieb aus. Zufälligerweise hörte er von einem Vortrag des Molekularbiologen Erich Wanker vom Max-Delbrück-Zentrum in Berlin. Das Thema: Die Wirkung von EGCG aus Grüntee auf Amyloidfibrillen. Ein ehemaliger Mitarbeiter Hunsteins hatte den Vortrag gehört und legte ihm anschließend nahe, viel grünen Tee zu trinken.
Wankers wissenschaftliche Daten weckten einen Hoffnungsschimmer bei Hunstein, und so ließ er sich auf einen Selbstversuch ein. Fortan trank er täglich bis zu zwei Liter grünen Tee. Mit der Zeit verbesserte sich sein Zustand derart, dass er 2007 schließlich einen Artikel zu seinem Selbstversuch im renommierten Medizinjournal „Blood“ veröffentlichte. Darin forderte er mehr wissenschaftliche Studien zu EGCG, um diesen Einzelerfolg auch wissenschaftlich bestätigen zu können.
Hunstein starb Anfang dieses Jahres im Alter von 83 Jahren und war bis zuletzt davon überzeugt, dass der Wirkstoff im grünen Tee bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen helfen könnte. Positive Erfahrungsberichte vieler anderer Menschen hatten ihn zusätzlich bestärkt.
Ergebnisse der Grundlagenforschung sind vielversprechend
Während die Forschung zu EGCG in vielen Bereichen noch am Anfang steht, liegen nach einer Studie in Heidelberg schon erste Ergebnisse vor. Untersucht wurden 19 schwerkranke Patienten, die an einer Amyloidose des Herzens leiden. Einen allzu großen Effekt konnten die Forscher aber bisher nicht beobachten – die Verdickungen an der Herzscheidewand der Patienten nahmen um zehn Prozent ab. „Wir hatten uns mehr Erfolg erhofft, möglicherweise ist die EGCG-Konzentration zu gering“, sagt der Heidelberger Kardiologe Arnt Kristen. Die Teilnehmer hatten täglich etwa 500 Milligramm Grüntee-Extrakt geschluckt, also etwas weniger als Hunstein täglich zu sich nahm. „Zumindest trat aber keine Verschlechterung der Amyloidose auf. Das ist auch schon ein Erfolg.“
Möglicherweise spielen auch andere Faktoren eine Rolle, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Zahlreiche Arbeiten aus der Grundlagenforschung, also vor allem in Experimenten mit Zellkulturen, haben in den vergangenen Jahren ermutigende Ergebnisse zum Grüntee-Extrakt geliefert. So haben Forscher vor ein paar Jahren etwa Hinweise darauf entdeckt, dass EGCG entzündungshemmend wirkt und ein fehlgeleitetes Immunsystem drosseln könnte. Außerdem schützt es Nervenzellen vor schädlichen Einflüssen des Immunsystems und vor hochaggressiven Sauerstoffverbindungen. Auch im Hinblick auf Krebs könnte Grüntee-Extrakt positiv sein: EGCG scheint Schäden an der Erbsubstanz zu verhindern und die Bildung von Blutgefäßen zu hemmen. Dieser als Angiogenese bezeichnete Vorgang ist für das Tumorwachstum wichtig.
„Derzeit ist aber noch nicht klar, ob das EGCG allein wirksam ist, oder möglicherweise Wechselwirkungen mit den vielen anderen Inhaltsstoffen des Grüntees vorliegen“, sagt der Neurologe Friedemann Paul vom Exzellenzcluster NeuroCure der Universitätsmedizin Berlin. Als Allheilmittel sollte man grünen Tee und den Wirkstoff EGCG also ohne weiteres nicht sehen. So müssen beispielsweise klinische Studien noch zeigen, inwieweit Grüntee-Extrakt in ausreichender Menge durch die Blut-Hirn-Schranke gelangen kann, um zum Beispiel bei Alzheimer auch im menschlichen Gehirn zu wirken.