Grüntee-Polyphenol als Basis für eine Kausaltherapie bei MSA

Der in Grüntee enthaltene Oligomer-Modulator Epigallocatechingallat (EGCG) zeigt einer Studie zufolge keine ausreichende klinische Wirksamkeit bei Patienten mit Multisystematrophie (MSA). Dennoch kann das Grüntee-Polyphenol die Atrophie der beteiligten Hirnareale senken.

Epidemiologische Daten geben Hinweise, dass der regelmäßige Verzehr von Grüntee das Erkrankungsrisiko einer Multisystematrophie (MSA) verringern kann. Eine entscheidende Rolle soll dabei das in Grüntee natürlich enthaltene Polyphenol Epigallocatechingallat (EGCG) spielen. Wissenschaftler untersuchten daraufhin, ob der Inhaltsstoff auch als kausaler Behandlungsansatz bei Patienten mit MSA in Frage kommt. In einer aktuellen PROMESA-Untersuchung (Progression rate of MSA under EGCG supplementation as anti-aggregation-approach) kann EGCG jedoch nicht vollständig überzeugen.

Zu diesem Ergebnis gelangt die aktuell im Fachmagazin The Lancet publizierte industrieunabhängige Studie [1]. Trotz des negativen klinischen Primärendpunkts gibt die Untersuchung Anlass zur Hoffnung. Das grundsätzliche Wirkprinzip von EGCG konnte bei MSA-Patienten tatsächlich nachgewiesen werden (sekundärer Endpunkt). Beteiligte Hirnregionen atrophierten unter dem Grüntee-Polyphenol erheblich weniger. Jedoch verhindern zuweilen schwere hepatotoxische Nebenwirkungen bei höherer Dosierung die klinische Wirksamkeit.

Grüntee-Studie bei Multisystematrophie (MSA)

MSA ist eine seltene neurodegenerative atypische Parkinson-Erkrankung, die durch die Aggregation von α-Synuclein in Oligodendrozyten und Neuronen gekennzeichnet ist. Sie gehört wie Parkinson zu den Synucleinopathien. Wissenschaftler um Professor Dr. Günter Höglinger, Leiter der Klinischen Forschung Translationale Neurodegeneration am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort München, untersuchten den Einfluss von EGCG auf den Krankheitsverlauf von MSA. In der Pathogenese von Synucleinopathien scheinen vor allem kleine krankheitsassoziierte Proteinaggregate, sogenannte Oligomere, neurotoxisch zu wirken. Hier rückt der in Grüntee enthaltene Oligomer-Modulator Epigallocatechingallat in den Fokus der Wissenschaftler.

Wirkweise EGCG

Epigallocatechingallat aus dem Grüntee blockiert in vitro die Oligomerbildung von α-Synuclein in der Zellkultur und reduziert die damit verbundene Toxizität. Zudem zeigen verschiedene Tiermodelle die Wirksamkeit von EGCG bei Parkinson. Möglicherweise ist dieses Wirkprinzip auch auf den Menschen übertragbar. Sollte EGCG den Verlauf der MSA tatsächlich modifizieren, wären die Forscher bei der Entwicklung einer wirksamen Therapie gegen Synucleinopathien einen großen Schritt weiter. Höglinger und Kollegen generierten Oligomer-Modulatoren, die speziell als Arzneimittel eingesetzt werden können. Insbesondere überzeugte dabei die sogenannte Substanz anle138b mit einer ausgezeichneten Bioverfügbarkeit im Hirngewebe.

PROMESA-Studie

Die PROMESA-Untersuchung wurde als randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte klinische Studie in zwölf deutschen Neurozentren durchgeführt. Daran beteiligt waren Kollegen mit großer klinischer MSA-Expertise aus der Charité in Berlin sowie aus Fachzentren in Beelitz-Heilstätten, Dresden, Düsseldorf, Kassel, Leipzig, Lübeck, Marburg, Tübingen und Ulm. Da es sich um eine industrieunabhängige Studie handelt, waren die finanziellen Ressourcen beschränkt und der Einsatz der Arbeitsgruppen umso beeindruckender. PROMESA ist die bislang weltweit zweitgrößte durch Wissenschaftler initiierte Studie mit MSA-Patienten.

Aufbau der Studie

Für die PROMESA-Studie wurden insgesamt 92 Probanden zugelassen. Alle Teilnehmer waren älter als 30 Jahre und erfüllten die Konsenskriterien für eine mögliche oder wahrscheinliche Multisystematrophie. 47 Probanden erhielten nach dem Zufallsprinzip 400 mg Epigallocatechingallat, 45 Placebo in Form von Mannitol. Die Teilnehmer beider Arme nahmen jeweils einmal täglich eine Hartgelatinekapsel für vier Wochen ein, dann eine Kapsel zweimal täglich für vier Wochen und weiter eine Kapsel dreimal täglich für 40 Wochen. Nach 48 Wochen durchliefen alle Patienten eine vierwöchige Auswaschphase. Als primärer Endpunkt wurde die Änderung der motorischen Untersuchungsergebnisse nach 52 Wochen festgelegt. Diese wurde anhand der Unified Multiple System Atrophy Rating Scale (UMSARS) bestimmt.

Auswertung der Studie

Nachdem vier Patienten in der Verumgruppe und zwei im Placeboarm verstarben und zwei Patienten in der EGCG-Gruppe die Behandlung wegen Hepatotoxizität abbrechen mussten, kam es zu folgenden Ergebnissen:

  1. EGCG zeigte keine Auswirkungen bezüglich des Fortschreitens einer MSA-Erkrankung. Der Beleg einer signifikanten verlaufsmodifizierenden Wirksamkeit von EGCG als Arzneimittel gegen MSA konnte somit nicht erbracht werden. Die Einnahme ist demnach auch nicht zu empfehlen.
  2. Insgesamt ist EGCG gut verträglich. Bei höher dosierter EGCG-Einnahme (mehr als 800 mg/Tag) kann die Einnahme jedoch mit hepatotoxischen Wirkungen assoziiert sein.
  3. Bei einigen Patienten war mittels Bildgebung eine bedeutsame Atrophiereduktion beteiligter Hirnareale nachweisbar. Somit könnten MRT-Befunde in zukünftigen Studien einen interessanten Biomarker abgeben.

Fazit

Selbst ohne den Nachweis einer signifikanten Wirkrelevanz von EGCG liefert PROMESA wichtige Daten zum Krankheitsverlauf von Patienten mit Multisystematrophie. MSA wird als Modellerkrankung betrachtet, da sie besonders gut geeignet ist, um verlaufsmodifizierende Arzneimittel auf ihre Wirksamkeit beim Menschen zu untersuchen. Die Ergebnisse sind auch auf Patienten mit Parkinson-Krankheiten übertragbar. Möglicherweise wurde mit dem in Grüntee enthaltenen Oligomer-Modulator ein kausaltherapeutischer Ansatz gefunden. Die bei einer kleinen Patientenklientel beobachtete Atrophiereduktion unter EGCG legt nahe, in Zukunft weitere Studien mit besser verträglichen Antiaggregativa durchzuführen.

Quelle: https://www.gelbe-liste.de/neurologie/gruentee-polyphenol-kausaltherapie-msa

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